Hier wächst Wirkung: Acker und die Deutsche Postcode Lotterie
Tristen Müller, Charity Partnership Coordinator von der Deutschen Postcode Lotterie, und Dr. Sina Muster, Teamlead des Wirkungsteams bei Acker Acker e. V.
Die Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Postcode Lotterie und Acker besteht bereits seit acht Jahren. In dieser Zeit ist eine starke und vertrauensvolle Partnerschaft gewachsen, die ein zentrales Ziel verfolgt: eine möglichst wirkungsvolle Arbeit zu ermöglichen.
Warum spielt Wirkung bei Acker eine so zentrale Rolle in der täglichen Arbeit?
Sina: Als Sozialunternehmen setzen wir uns für einen nachhaltigen Wandel in der Gesellschaft ein. Unser Ziel: Mehr Wertschätzung für Natur und Lebensmittel. Doch einfach zu behaupten, wir würden mit unseren Bildungsprogrammen Veränderung herbeiführen, reicht uns nicht. Wir wollen wissen, ob unsere Formate bei den Zielgruppen auch ankommen. Wirken sie? Und wenn ja, wie? Genau deshalb ist Wirkung so entscheidend für unsere Arbeit.
Wir messen die Wirksamkeit unserer Programme bereits seit deren Beginn, also seit dem ersten Spatenstich. Angefangen mit der Bachelorarbeit einer Studentin im Jahr 2014, haben wir in den letzten zehn Jahren insgesamt 150 Erhebungen zu unseren Programmen durchgeführt, hinzu kommen 25 Masterarbeiten zu speziellen Forschungsfragen in Kooperation mit Hochschulen.
Auch die Deutsche Postcode Lotterie ist ein gemeinnütziges Unternehmen mit der Mission, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Welche Bedeutung hat die Wirkung für euch?
Tristen: Wirkung in Form von Gemeinschaft und Vertrauen gehört zu unserem Unternehmenskern – ganz nach unserem Motto „Zusammen gewinnen. Zusammen helfen.“ Warum? Gemeinschaft spielt bei uns eine zentrale Rolle. Bei uns gewinnen ganze Nachbarschaften und rücken näher zusammen – mit dem Bewusstsein, dass sie gemeinsam sozial wirken. Von allen Losen unserer Teilnehmenden gehen mindestens 30 Prozent an gemeinnützige Projekte und Organisationen. Bei den Monatsgewinnfesten bringen wir die Gewinner*innen sowie Projektpartner aus der Region zusammen. Das stärkt die Community und den Zusammenhalt. Die Zusammenarbeit mit unseren Partnerorganisationen basiert wiederum sehr stark auf Vertrauen, das zeigt sich unter anderem durch die Unterstützung mit projektungebundenen Fördermitteln. In dieser ganzheitlichen und vertrauensbasierten Förderlogik unterstützen wir viele spannende kleine und große Organisationen und haben dabei den größtmöglichen gesellschaftlichen Impact im Blick.
Sina: Ich finde den Aspekt des Vertrauens besonders schön. Gerade, weil das auch ein Ziel unserer Wirkungsarbeit ist. Nämlich mit dem Geld, das uns der Förderpartner gibt, verantwortungsvoll umzugehen und so Vertrauen zu schaffen. Das, was wir machen, wollen wir nicht nur auf einem Gefühl aufbauen, dass es schon irgendwie werden wird, sondern möglichst durch valide Daten belegen.
Was versteht ein Sozialunternehmen eigentlich unter Wirkung? Wie werden Wirkungsanalysen umgesetzt und welche konkrete Wirkung erzielt Acker dabei?
Sina: Bei unseren Erhebungen orientieren wir uns an wissenschaftlichen Leitlinien und Standards und nutzen ein breites Repertoire an sozialwissenschaftlichen Methoden – sowohl qualitativ als auch quantitativ. Ein Team von vier festangestellten Mitarbeiter*innen beschäftigt sich bei uns ausschließlich mit der Wirkungsanalyse, die wir kontinuierlich weiterentwickeln. Im Bildungsprogramm GemüseAckerdemie untersuchen wir mittlerweile neun Wirkungsfelder. Anfangs waren es vier. Das Feld Gemeinschaft kam beispielsweise vor ein paar Jahren hinzu, weil wir festgestellt haben, dass durch das gemeinsame Ackern Teamgeist und der Zusammenhalt innerhalb der Klasse gestärkt werden.
Die neun Wirkungsfelder der GemüseAckerdemie. Acker e. V.
Zur Wirkungsmessung verwenden wir das iooi-Modell (Anm. d. R.: siehe Grafik unten): Input – Output – Outcome – Impact. Input bezeichnet die Ressourcen, die wir einbringen. Output beschreibt die Leistungen, mit denen wir unsere Zielgruppen erreichen. Outcome ist der Kern unserer Wirkungsmessung. Hier analysieren wir, welche Veränderungen bei den Pädagog*innen, Schüler*innen und Kindern in Bezug auf Motivation, Wissen, Einstellungen und idealerweise Verhalten stattfinden. Und dann der Impact: Damit meinen wir die tatsächliche gesellschaftliche Transformation. Dieser Begriff hat derzeit enormen Aufschwung, und wir werden oft gefragt, wie wir denn Impact messen würden. Diesen zu messen ist schwierig, weil dieser Wandel langfristig geschieht. Doch wir entwickeln derzeit Szenarien, um uns dem anzunähern.
Wirkungslogik am Beispiel der GemüseAckerdemie mit den Komponenten Input, Output, Outcome, Impact. Acker e. V.
In unseren Wirkungsberichten dokumentieren wir jährlich die Ergebnisse unserer Erhebungen und können durchweg zeigen, dass unsere Bildungsprogramme nachhaltig wirken. Die von uns erhobenen Zahlen bestätigen, dass die Kinder beim Ackern nicht nur mehr Wertschätzung für Natur und Lebensmittel entwickeln, sondern auch soziale, sprachliche und motorische Kompetenzen erlernen. Um ein paar Zahlen aus unseren neuesten Wirkungsberichten zu nennen, die das sehr gut belegen: 69 Prozent der Schüler*innen erwerben gartenbauliche Tätigkeiten. 58 Prozent der Schüler*innen essen mehr Gemüse und 68 Prozent der Schüler*innen stärken ihre positive Einstellung zur Natur.
Tristen: Dank eurer Wirkungsberichte sind die Ergebnisse klar und gut kommunizierbar. Das finde ich besonders schön. Wir haben etwas in der Hand und können unserer Community zeigen: Hey, da verändert sich etwas direkt bei euch auf lokaler Ebene in den Kitas, Schulen, Kiezen und Nachbarschaften. Dies anhand der Zahlen und der Zitate der Teilnehmenden belegen zu können, schafft Vertrauen. Zudem macht ihr transparent, welche Methoden ihr nutzt und welche Daten warum erhoben wurden. Ein Zitat eines Schülers, welches mir beim Lesen eurer Berichte ganz besonders in Erinnerung geblieben ist: „Der Acker ist im Prinzip so wie Schule, nur besser.“ Das zeigt für mich so schön, wie bereichernd und motivierend ein Schulacker fürs tägliche Lernen ist.
Ihr habt zudem einmal gesagt, dass ihr darauf hinarbeitet, euch selbst abzuschaffen, und zwar dann, wenn alle Kinder in Deutschland den Gemüseanbau praktisch erfahren können. Mit eurer Vision „2030 - jedes Kind“ wärt ihr also in weniger als fünf Jahren nicht mehr da (beide lachen). Natürlich hoffe ich, dass es euch noch sehr lange gibt. So etwas würden die meisten Organisationen von sich nicht behaupten. Für mich zeigt das einfach, dass ihr wirklich intrinsisch motiviert seid und es euch vor allem um die Sache geht.
Sina: Ja, wir haben nur noch gut vier Jahre (lacht). Tatsächlich haben wir mit „2030 - jedes Kind“ ein ehrgeiziges Ziel. Wir fordern, dass sich das Bildungssystem ändert! Bis 2030 wollen wir es jedem Kind in Deutschland ermöglichen, den Wachstums- und Wertschöpfungsprozess von Lebensmitteln auf dem Acker selbst zu erleben. Deshalb haben wir im letzten Jahr die Theory of Change eingeführt – einen partizipativen Prozess, an dem die Akteur*innen, die die Programme entwickeln, beteiligt sind. Unser Team hat die Aufgabe, genau zu prüfen: Ist dies der beste Weg oder der stärkste Hebel, um unser Ziel zu erreichen?
Tristen: Ich bin schon sehr neugierig auf die Ergebnisse.
Sina: Es gibt bereits viele Puzzleteile, die wir gerade zusammensetzen. Vor allem im Politikbereich ist dies gerade sehr spannend. Seit knapp einem Jahr haben wir ein eigenes Team, das sich diesem Thema widmet. Dabei lernen wir viel dazu.
Was macht die Partnerschaft zwischen der Deutschen Postcode Lotterie und Acker besonders wirkungsvoll?
Tristen: Die Partnerschaft ist seit Jahren kontinuierlich gewachsen. Die Postcode Partnerschaft, also die Unterstützung mit projektungebundenen Fördermitteln, basiert auf größtmöglichem Vertrauen – und steht sinnbildlich für unsere Wirkungslogik. Ihr bekommt von uns Fördergelder und könnt dann selbst entscheiden, wie ihr diese einsetzt. Damit wollen wir dafür sorgen, dass langfristige und unkomplizierte Zusammenarbeit möglich ist und freie Entscheidungen lassen, um die Fördermittel so sinnvoll wie möglich einzusetzen. Denn wir glauben, dass sich eine Organisation auf diese Weise am besten weiterentwickeln und ihre Wirksamkeit entfalten kann.
Sina: Damit leistet die Deutsche Postcode Lotterie einen unglaublich wertvollen Beitrag. Mit der zweckungebundenen Förderung können wir unsere strategischen Ziele ohne kleinteilige Bürokratie verfolgen. Das gibt uns Sicherheit und enorme Freiheit. Wir können neue Wege einschlagen oder den Kurs ändern, wenn etwas doch mal nicht so wirkt, wie wir es uns wünschen. Das ist unbezahlbar – und ich finde es richtig stark!
Wie wirksam fühlt ihr euch bei eurer täglichen Arbeit und welche Bedeutung hat eine wirkungsvolle Tätigkeit für euch persönlich?
Tristen: Neulich habe ich zum Spaß gesagt, wenn ich in der privaten Wirtschaft wäre, wäre ich jetzt vielleicht reich (lacht). Ich hätte aber definitiv das Gefühl, weniger Sinnvolles mit meiner Zeit und Karriere zu tun. Tatsächlich fühle ich mich bei meiner Arbeit sehr wirksam. Bei der Deutschen Postcode Lotterie haben wir großartige Möglichkeiten, Projekte und Organisationen zu unterstützen. Ich lerne all diese Organisationen kennen und arbeite in gewisser Weise mit ihnen zusammen. Ich habe Politik und Internationale Beziehungen studiert und freue mich, dass ich mein Wissen über und mein Interesse an sozial-gesellschaftlichen Themen wirkungsvoll einsetzen kann.
Sina: Vor Acker war ich zehn Jahre lang in der Wissenschaft tätig. Oft fehlte mir der tatsächliche Outcome. Ich wollte direkt mit Kindern arbeiten, um sie für Natur, Nachhaltigkeit und natürliche Lebensmittel zu begeistern. Bei Acker erlebe ich jeden Tag hautnah, was unsere Bildungsprogramme bewirken. Das macht mir wahnsinnig viel Spaß und trägt mich auch durch stressige Phasen.
Ihr habt einen wirkungsvollen Wunsch frei, der sich bis 2050 erfüllen soll – welcher wäre das?
Sina: Mein ideales Szenario für 2050 wäre, dass es keine Impact-Unternehmen mehr im heutigen Sinne gibt, weil jedes Unternehmen einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leistet. Zum Vergleich: Wenn wir in unseren Programmen Gemüse anbauen, stärken wir durch Humusaufbau den Boden, fördern die Ansiedlung von Bodenlebewesen und somit eine gesunde Erde. Genauso stelle ich mir auch die Unternehmen der Zukunft vor. Sie nehmen nicht nur Ressourcen heraus und produzieren etwas, sondern geben gleichzeitig etwas in bestimmte gesellschaftliche Bereiche zurück, die sie stärken und fördern.
Tristen: Ja, ich denke ebenfalls in Sinas Richtung. Ich würde mir wünschen, dass Impact zum Standard wird und dass Sozialunternehmertum nicht mehr als eine Ausnahme betrachtet wird. Ich denke, nur so können die Herausforderungen, die wir momentan erleben, auch gelöst werden. Und ich würde mir manchmal weniger Fokus auf Wirkungsmarketing und dafür noch mehr auf die Umsetzung und das Erzielen von Wirkung wünschen.
Sina: Also packen wir es an …
Tristen: … genau, bis 2030 …
Sina: ... jedes Kind!
(Beide lachen)
Vielen Dank für das Interview.